Es sollte die Geburtsstunde der NASCAR Sprint Cup Series werden: Am 19. Juni 1949 veranstaltete Bill France gemeinsam mit seiner noch jungen NASCAR das erste offizielle Rennen der “Strictly Stock” Serie, welche die die Zuschauer begeistern sollte. Doch die Vorbereitungen waren alles andere als einfach.
Hitze, Nervosität und Schlafmangel
[dropcap]D[/dropcap]er 40 Jahre alte Bill France kletterte am frühen Sonntag Vormittag, den 19. Juni 1949, die hohen Holztribünen des noch jungen Charlotte Speedway, ein 0,750 Meilen langes Dirt-Oval, hinauf. Bei einer Außentemperatur von 80° Fahrenheit, also gute 26° Celsius, war “Big Bill” schon jetzt klar, dass dieser Tag die Haut krebsrot anlaufen lassen würde und das die bevorzugte Farbe der T-Shirts weiß sein wird.
Doch die Hitze war nicht das größte Problem des Mannes, welcher zwei Jahre zuvor im längst legendären Streamline Hotel in Daytona Beach mit vielen weiteren wichtigen Männern des Stock Car Sports die ‘National Association for Stock Car Auto Racing’, kurz NASCAR, ins Leben rief und somit den ersten Schritt seines Lebenstraumes verwirklichte.
Der eigentliche Grund für die Sorgen des unter Schlafmangel leidenden France war das Rennen auf dem Speedway am Nachmittag. Zum ersten Mal in der Geschichte der noch jungen NASCAR sollte in Charlotte das erste “Strictly Stock” Rennen stattfinden, in dem nur neugebaute, amerikanische Personenkraftwagen antreten durften, die nach dem Ende des zweiten Weltkrieges produziert wurden.
Dies war die Geburt der heutigen NASCAR Sprint Cup Series.

Doch zu dem Zeitpunkt wusste Bill France natürlich noch nichts von dem Erfolg, welchen er und seine Familie im Laufe der Jahrzehnte haben würde. So stand also der große, schlaksige Mann mit zusammengekniffenen Augen auf der wackeligen Tribüne, voller Sorgen ob das Rennen genug Zuschauer anlocken würde. Als er dann aber in Richtung des Wilkinson Boulevard schaute, kam das so bekannte und schelmische Lächeln wieder in sein Gesicht zurück. Hunderte von Motorsportfans parkten ihre Wagen und zogen wie Bienenschwärme in Richtung des staubigen Speedways. Die Menge an Menschen übertraf seine Vorstellungen und Hoffnungen um ein vielfaches!
Promotion mit Rückschlägen
Die Zuschauer kamen allerdings nicht von alleine. Schon zwei Monate vor Beginn des Rennens im heutigen Wohnzimmer der NASCAR im US-Bundesstaat North Carolina begann Bill France mit den Vorbereitungen und Werbemaßnahmen, welche durch unvorhersehbare Momente immer wieder beeinträchtigt wurden. Binnen weniger Tage vor dem Rennen reiste er zurück in seine Heimatstadt nach Washington, DC. um die Beerdigung seines Vaters zu besuchen, der von einer langen, schmerzlichen Krankheit erlöst wurde.
[pullquote]”Bill France war ein liebenswerter Mann, doch er konnte jeden einzelnen in Grund und Boden argumentieren.” – Ray Fox[/pullquote]
War dies geschafft, kehrte er zurück zum Ort des Rennens und traf sich mit einem bekannten Promoter namens Bill Tuthill, um sich ein wenig von den Aktivitäten zu erholen und einen klaren Kopf zu behalten. Mit Tuthill, der ebenfalls eine seiner rechten Hände in der NASCAR war, und zwei weiteren Männern flog Bill France ein neues, kleines Privatflugzeug. Schließlich war das Fliegen eines seiner liebsten Hobbies. Doch als das Flugzeug drastisch an Höhe verlor, saß France hilflos im Cockpit und konnte die Maschine noch im letzten Moment auf die Landebahn steuern, überrollte diese aber um Längen. Das kleine Privatflugzeuge rollte weiter auf einen nahelegenden Highway und hüpfte noch ein wenig, bevor es dank eines Wassergrabens endlich zum Stillstand kam. Es war schon ein kleines Wunder, dass niemand verletzt wurde und das die Straßenwagen auf dem Highway ausweichen konnten.
Vom Schock erholt, begab sich “Big Bill” mit leichten Schmerzen zurück zum Speedway, um den restlichen Aufgaben und Problemen Herr zu werden, so zum Beispiel das “Staub-Problem”. Dank einer tagelangen Hitzewelle wirbelten die Wagen auf der Strecke während der Trainings den Dreck meterhoch auf und kurze Zeit später war der Ort des Geschehens in einer rote Staubwolke verschwunden. Es war so schlimm, dass es sogar Verkehrsunfälle auf dem Wilkinson Boulevard gab und das die Polizei das Rennen am nächsten Tag absagen wollte. Doch France ließ sich nicht beirren und überzeugte die “Officers” von der Wichtigkeit des Rennens und das er alles mögliche versuchen werde, die Strecke bestens zu präparieren.
Ein Mann, ein Wort.
Dies war eines seiner Stärken und die Formel hinter dem späteren Erfolg der NASCAR. Nicht nur seine unglaubliche Körpergröße von knapp 1,95 Metern wirkte seinen Gegenübern zumeist einschüchternd, sondern auch sein zielstrebiger, unermüdlicher und motivierender Charakter. Was er haben wollte, dass nahm er sich auch. “Er hatte eine Faust aus Eisen und gleichzeitig Samthandschuhe, die er geschickt einzusetzen wusste,” so Greg Fielden, ein renommierter Buchautor, der viele Bücher über die Geschichte der NASCAR veröffentlichte. “Mit guten Leuten um ihm herum war er so gut wie unschlagbar in Diskussionen. Er überzeugte sie früher oder später alle von seiner Meinung.”

So sah es auch der NASCAR Teaminhaber Ray Fox, der am 15. Juni 2014 im Alter von 98 Jahren verstarb: “Bill France war ein liebenswerter Mann, doch er konnte jeden einzelnen in Grund und Boden argumentieren.” Die Wagen von Raymond Lee Fox Sr., so sein vollständiger Name, gewannen insgesamt 14 NASCAR Grand National (heute Sprint Cup) Rennen. Später arbeitete er auch als Motorenprüfer für die NASCAR selber.
William “Bill” Henry Getty France ließ sich also von all den Problemen und Missgeschicken im Vorfeld des Rennens nicht beirren, auch nicht von seinem Widersacher Bruton Smith, der mit der NSCRA (“National Stock Car Racing Association”) eine Konkurrenzserie aufbaute und versuchte, Fahrer von Bill Frances NASCAR zu locken, u.a. Red Byron, ein Star der damaligen Stock Car Szene und NASCARs ersten Champion.
Um diesem ein Ende zu setzen kündigte “Big Bill” Anfang April 1949 also das erste “Strictly Stock” Rennen für Mitte Juni an und versprach dem Sieger des 150 Meilen langen Rennens lukrative 2.000 US-Dollar. 3.000 weitere Dollar sollten an die 32 weiteren Fahrern verteilt werden. Allerdings gab es eine simple Bedingung, die die Fahrer erfüllen mussten: Sie durften nicht für Bruton Smith fahren…
Das Fahrerfeld: Von den Fonty Brüdern, über Sara Christian bis hin zu Curtis Turner
Die Fans strömten am Sonntag weiter ‘en masse’ zum Speedway, trotz einer wahnsinnigen Temperatur von 33 Grad Celsius in der prallen Sonne. Sie liebten schlicht und ergreifend Frances Idee, reine PKW mit den besten Stockcar Piloten von Amerika auf eine Strecke zu schicken. Unter diesen Fahren befanden sich unter anderem die drei Flock Brüder Bob, Fonty und Tim. Erstgenannter soll der talentierteste der dreien gewesen sein und wird als ruhige, aber durchaus auch aggressive Person beschrieben, die es nicht mochte berührt zu werden. Fonty dagegen galt als lässiger Mensch, der fast immer mit Bamooda Shorts fuhr.
Tim war der Jüngste unter den dreien und sollte schon bald seinen beiden Brüdern davonfahren und einer der siegreichsten Piloten seiner Zeit werden; zurecht wurde er 2014 ein Teil der NASCAR Hall of Fame. Wie auch immer, im Sommer 1949 wusste davon natürlich noch niemand etwas und am Mittwoch vor dem ersten “Strictly Stock” Rennen hatte er noch keinen Wagen gefunden, mit dem er an dem Rennen teilnehmen durfte.
Sein großer Bruder Bob schlug ihm vor, einen Fan zu fragen und so begab sich Tim Flock nach einigen Überzeugungsmaßnahmen seitens Bob zu einem Mann namens Buddy Elliott, der gemeinsam mit seiner Frau Betty in einem schicken, neuen “Oldsmobile 88” saß. Tim fragte den Herrn, ob er den Wagen für das Rennen hernehmen dürfe. Trotz der Proteste von Betty Elliott, einigte sich ihr Ehemann begeisternd mit dem Rennfahrer. Er sollte später noch neun weitere Rennen in den Jahren 1949 und 1950 seinen Wagen Tim Flock leihen.
Neben den Flock Brüdern und Red Byron sollte auch eine Frau für Aufsehen sorgen. Die NASCAR warb mit der “sensationellen und wunderhübschen” Sara Christian, die einen 47er Ford von ihrem Ehemann steuerte und das einzige weibliche Geschlecht in dem Fahrerfeld darstellte.

Nicht vergessen darf man natürlich auch Curtis Turner, dem die Frauen damals zu Füßen lagen dank seines famosen Lächelns und tollen, halblangen, schwarzen Haaren. Sein Aussehen, charismatisches Auftreten und die phänomenale Fahrzeugbeherrschung machten ihn neben Fireball Roberts zum ersten echten Superstar der NASCAR.
Außerdem reiste Lee Petty mit seiner Frau und seinen kleinen Sohn Richard nach Charlotte, um sein Stock Car Debüt zu geben. Wo die Karrieren der beiden hinführen sollte ist Geschichte.
Viele Zuschauer und ein kontroverses Rennen
Am Sonntag, um 14:00 Uhr Ortszeit, war es dann endlich soweit und unglaubliche 13.000 Zuschauer aus dem ganzen Land, die für 4 US Dollar ein Ticket erworben haben, warteten gespannt auf den Start des 200 Runden Rennens auf dem Charlotte Speedway. Die Fahrer stiegen in ihre Wagen, befestigten sich mit Seilen am Sitz und setzten sich einen notdürftigen Helm auf den Kopf. Die berühmten Worte “Lady and gentlemen, start your engines!” ertönten aus den Lautsprechern auf der Strecke!
Das 33 Fahrer starke Feld setzte sich in Bewegung und zum ersten Mal in der Geschichte der NASCAR fand ein offizielles, organisiertes Rennen mit normalen Straßenwagen, von Hudson, Kaiser, Mercury bis hin zu Chrysler, Buick und Ford statt. Jeder Zuschauer konnte sich mit den Wagen identifizieren, schließlich fuhren die meisten ebenfalls einen von denen.
Nachdem die grüne Flagge zum Start des Rennens in die Luft geschwungen wurde, konnte sich der Polesetter Bob Flock in seinem 46er Hudson schnell absetzen, doch schon 38 Runden später verweigerte sein Dienstfahrzeug die Arbeit und sonnte sich den restlichen Tag in der Boxengasse in einer heißen Öllache.

Nun sollte Bill Frances Freund Bill Blair die Führung übernehmen und sollte diese auch nicht mehr so schnell abgeben. Sein brandaktueller Lincoln “flog” förmlich über die Strecke, erklärte Blair später nach dem Rennen. Blair war unantastbar und überrundete das gesamte Feld mehrmals, bis die Zuschauer inklusive Brian France ihren Atem anhielten: Zur Halbzeit brach Lee Pettys Aufhängung und schickte den späteren dreimaligen Champion auf eine Achterbahnfahrt, die nach ein paar Überschlägen endete. France, Fans und weitere Helfer rannten zur Unfallstelle und durften erleichternd feststellen, dass es Petty bis auf ein paar Schnittverletzungen gut ging.
Bill Blair ging nun an die Box und seine “Boxencrew” fing an, am Wagen zu arbeiten. Einer von seinen Jungs hatte ein wenig zu viel selbstgebrannten Apfelschnaps intus und versuchte dem Kühler ein wenig Wasser zuzuführen, doch dabei brach er etwas am Kühler ab. Fünf Runden später musste Blair seinen Wagen aufgrund Überhitzung des Motors enttäuschend abstellen.
Nun sollte sich das Rennen in den letzten 47 Runden zwischen Glenn Dunaway und Jim Roper entscheiden. Letzterer merkte allerdings während der Aufholjagd, dass sein Motor die Hitze nicht mehr lange mitmachen würde und ließ somit Dunaway davon ziehen.
Die Zuschauer waren zufrieden, die Fahrer waren es und somit konnte sich auch Bill France glücklich zurücklehnen. Ein Anruf am frühen Abend ließ allerdings einen faden Beigeschmack zurück: Al Chrisler, Technischer Inspektor, stufte das Siegerauto von Dunaway als unzulässig ein, da die Position des Motorblocks angepasst worden war, um den Federn mehr Spielraum zu gewährleisten. Eine typische Modifikation von “Moonshine Runners”. Doch genau dies war nicht erlaubt.
Bill France disqualifizierte den 35 Jahre alten Glenn Dunaway unverzüglich und erklärte Jim Roper nun doch noch zum Sieger, der mit drei Runden Rückstand hinter Dunaway ins Ziel kam. Der Wagenbesitzer vom disqualifizierten Dunaway, Westmoreland, war außer sich vor Wut und ging sogar vor das Gericht – vergeblich.

Die Meinungen zu der Disqualifizierung waren im Fahrerlager gespalten. Zwar waren sich alle einig, dass Modifikationen nun nichts mehr im Sport zu suchen hätten, die Strafe aber eindeutig zu hart war. Also gab jeder Fahrer ein wenig von seinem Preisgeld ab und überreichten Dunaway gemeinsam insgesamt $500, was als eine der “nettesten Sportgesten in der Geschichte des Motorsports” von der Zeitung namens “National Speed Sport News” damals tituliert wurde.
Das erste Rennen war somit endgültig ein voller Erfolg und die lange Geschichte des heutigen “NASCAR Sprint Cup” nahm ihren Lauf, die bis heute noch nicht zu Ende geschrieben worden ist. Längst sind aus Straßenwagen reinrassige Rennwagen geworden und längst ist es ein milliardenschwereres Unternehmen. Doch eines hat sich nicht geändert, wie Maurice Petty (Richard Pettys jüngerer Bruder und Hall of Famer) einst über die NASCAR sprach: “Du lebst und atmest es.”